Ich habe jüngst Thomas Höffgens Buch "Waldphilosophie" gelesen, der Untertitel lautet "warum der Wald nicht nur gesund, sondern auch weise macht". Der Mann knüpft wiederholt bei einer biochemisch fundierten Sichtweise auf den Wald an (Stichwort Terpene etc.), betrachtet diese allerdings als eindimensional und unvollständig. Selbst im Waldbaden erkennt er eine eher medizinisch ausgerichtete Verflachung. Zur Erläuterung greift er vielfach zurück auf historische Texte, meist weit vor der Aufklärung verfasst, welche sinnlich überraschende, faszinierende, rätselhafte Wahrnehmungen rund um den Wald spirituell einordnen, mit metaphysischer Sinnhaftigkeit aufladen. Davon ausgehend formuliert er viele eigene Gedanken, verdeutlicht bzw. verstärkt die mystischen und spirituellen Interpretationen, stellt sie in den heutigen Kontext.
Mit Spannung und Interesse losgelegt, habe ich beim Lesen schnell gemerkt, dass ich eine abweichende Position zu der Thematik habe. Mich interessiert Waldmythologie nicht, mich interessieren nicht mal Terpene, geschweige denn Waldbaden. Wie unschwer an diesem Blog zu erkennen, ist der Taunus für mich quasi zu einem Studienobjekt geworden. Bin ich dort unterwegs, nehme ich den Wald auch sehr stark ästhetisch wahr - wie ein gigantisches objet trouvé. Beim Erkunden und Wandern erlebe ich die ständig neu nuancierte Atmosphäre meiner Umgebung, und verspüre einen großen sinnlichen Genuss.
Klar, der Sinn für Naturschönheit ist unter den irdischen Lebewesen wohl nur dem Menschen gegeben. Dieser Aspekt des Menschseins hat einen starken Widerhall in der Epoche der Romantik, und so passt es, dass dem Goethe vergleichsweise viel Platz in Höffgens "Waldphilosophie" eingeräumt wird. Fremd bleibt mir hierbei die Überhöhung der menschlichen Perspektive und des menschlichen Empfindens, das Bild vom Menschen als besonderem Wesen, welches im spirituellen Sinne "hinter die (Wald)-Dinge" sehen kann - genau das vermittelt mir Höffgens Buch auf praktisch jeder Seite. Einige Goethe-Zitate haben für mich schlicht einen elitären Beigeschmack (zur Einordnung mag der Hinweis dienen, dass mir Dada, Existentialismus und Punk deutlich näher sind als die Romantik).
Wie Höffgen im Buch berücksichtigt, hat die Gattung Mensch seit Urzeiten die weitaus meiste Zeit in ihrem natürlichen Habitat "Wald" verbracht. Die moderne Zivilisation mit ihren Anforderungen und Lebensbedingungen ist dem Menschen als biologischem Wesen im Grunde völlig entfremdet. Meinen Drang in's Grüne dagegen sehe ich verwurzelt in einem engen biologischen (nicht göttlichen oder spirituellen) Verhältnis des Menschen zum Wald. Diese Umgebung bot meinen weit entfernten Vorfahren jahrtausendelang die Überlebensgrundlage. War das Durchdringen der Wildnis einst nötig etwa zur Nahrungsbeschaffung, verstehe ich Gehen im Wald auch im 21. Jahrhundert als einen natürlichen Bestandteil meines Lebens. Ich begreife mich als Teil der Natur, habe oft das Gefühl oder den Instinkt "Leute, dort gehöre ich eigentlich hin". *
Dabei sind Begegnungen mit Waldtieren für mich oft ein kleines Erlebnis, ich habe großen Respekt vor ihnen. Viele haben ein deutlich feineres Sensorium für ihre Umgebung als der Mensch; Wohlleben & Co. würden möglicherweise anfügen, dass Ähnliches auch für Bäume gilt. Jedenfalls komme ich mir dazwischen wie ein leicht verpeilter Gast vor, ein Störfaktor auf zwei Beinen, welcher mit seinen Artgenossen den Lebensraum Wald auf Jahrzehnte schädigt. Ganz sicher aber sehe ich mich im Kontext Wald nicht als metaphysisch erleuchteten Überflieger.
Ich lebe und arbeite in einer Großstadt, verbringe die meiste Zeit in der Wohnung, auch in Probe-/Unterrichts-/Konzerträumen, auf Straßen, Bahntrassen und anderen städtischen öffentlichen Bereichen etc. Meine Zeit im Wald dagegen ist vergleichsweise knapp bemessen, und so sind die dortigen Eindrücke für mich etwas Besonderes, manchmal gar Atemberaubendes (hier bin ich ganz bei Höffgen). Es sind Sinnesreize, denen ich selten ausgesetzt bin, unwiederbringlich im subjektiv erlebten Hier und Jetzt - klar ist das für mich etwas Besonderes. Jedoch: Wenn ich nicht dort bin, geht's grad weiter mit all den "Naturschauspielen". Was auf mich als Besucher wie ein Faszinosum nach dem nächsten wirkt, ist für die Natur alltägliches Geschehen - auch ohne mich als Publikum, Erklärer, Verwerter.
Mangels Wissen und Verständnis bleiben mir viele Naturphänomene rätselhaft. Dennoch käme ich nie auf die Idee, sie als mystisch, spirituell oder göttlich einzuordnen. Mir ist das zu menschenzentriert - gewissermaßen wie eine Krücke, die mir weiterhelfen möge, sobald meine Ratio an ihre Grenzen gelangt. Vielmehr nehme ich die Sphäre der Natur mit ihren Facetten und "Wundern" als gegeben hin, ebenso meine (die menschliche) Fähigkeit, die Natur mit den Sinnen nuanciert wahrzunehmen, und Schönheit dafür zu empfinden. Ich halte es problemlos aus, dahinter nichts weiter vermuten oder zu suchen. Aber ich bin dankbar, ein bisschen ehrfürchtig, und freue mich sehr darüber, dass all das einfach ist.
* Mir ist bewusst, dass der Taunus weitgehend aus
menschengemachten Kulturen und Plantagen, aus Waldersatz besteht. Das ist für die dargestellten Zusammenhänge aber tatsächlich
zweitrangig.
und Niedernhausen, Taunusstein, Eppstein, Schlangenbad, Eltville, Oestrich-Winkel, Idstein, Kelkheim, Königstein, Kronberg, Glashütten, Hofheim, Bad Schwalbach, Geisenheim, Heidenrod, Schmitten, Hohenstein, Oberursel, Bad Homburg, Hünstetten, Waldems, Rüdesheim, Lorch, Friedrichsdorf, Kaub, Bad Camberg, Aarbergen, Hünfelden, Selters...